Ein letztes Mal........ 12.Beitrag
Wie es ist, wenn mann weiss, man sieht jemand das letzte Mal?
Ich habe gerade wunderschöne Tage mit meiner Jugendfreundin und ihrem Partner verbracht und bin mit Freude und der Tatsache betroffen, dass wir alle wissen, dass wir uns zum letzten Mal sehen werden. Das ist einerseits sehr berührend und ja, auch sehr traurig und andererseits grossartig es so bewusst zu erleben und die Realität zu akzeptieren und nicht auszublenden.
Sie konnten die lange Reise vom Norden Deutschlands hierher nach Frankreich machen, weil ein „vietnamesischer Engel” das Fahren übernommen hat. Diese wunderbare Frau sorgt sich liebevoll um das Paar. Ich bin begeistert wie herzlich, engagiert und klar sie das macht. Sie hat das gewählt mit ihrem deutschen Mann, (der gerade zuhause Babysitting macht). Das Paar lebt ganz nah bei meiner Freundin und sie sind beide Therapeuten. Als der Partner meiner Freundin die beiden Therapeuten bat, sich zu überlegen, ob sie die tägliche Unterstützung zu 50% übernehmen möchten, da sagten sie spontan ja. Seither ist das eine enge Freundschaft geworden und das, trotz Angestellten-Verhältnis. Ein Glücksfall, der von beiden Seiten Mut und Vertrauen forderte.
Mein Haus ist, Gott sei Dank und zufälligerweise ebenerdig und somit Rollstuhl-gängig und so bietet es kein Problem, meine Freunde in die Ferien zu nehmen. In einem alten Bauernhaus von der Toilette zum Schlafzimmer und zu den Wohnräume und vor allem nach draussen in den Garten zu gelangen, das ist sehr gut zu machen. Ausser einer kleinen Rampe, musste ich nichts anpassen. Weil wir alle das Beste aus dieser Gegebenheit machen, geht das sehr gut. Dieses Glück haben wir nun also ein paar Tage fleissig genutzt und uns dabei viel Zeit für das Wesentliche genommen. Am Feuer zu sitzen und viel zu reden und zu erzählen, den Garten geniessen, kleine Spaziergänge zu machen und herzliche Begegnungen mit Nachbarn oder der Dorfbevölkerung zu geniessen . Das hat uns beseelt.
Wie schon gesagt, ich bin 80 und meine Freundin 82, ihr Partner 86. Damals vor über sechzig Jahren, bei einem Skiurlaub hat sie sich so sehr verletzt, dass sie nach vielen OP’s im Rollstuhl landete. Das war für uns alle sehr hart, weil wir als Jugendliche so viel Blödsinn miteinander machten, so viel lachten, zusammen in der Altstadt lebten, zusammen Wochenende in den Bergen verlebten und zusammen Ferien genossen und einfach alles voneinander wussten. Dank Internet waren wir all die vielen Jahre in gutem Kontakt. Meine Freundin nahm ihr Schicksal ohne jeden Groll an und sie und ihr Partner richteten das Leben so ein, dass meine Freundin so oft wie möglich ein selbständiges Leben im Rollstuhl leben konnte. Lange Zeit auch ganz ohne fremde Hilfe.
Ja und was waren den die wichtigsten Gespräche letzte Woche? Eigentlich gar nicht das, was man sich so vorstellt in dieser Situation. Meine Freundin wird langsam Demenz und ihr Partner kann kaum noch gehen, nach einer Bestrahlung von-Krebs. Wir wissen also, was es für ein Segen ist, hier zusammen Zeit zu verbringen. Nein, wir haben auch nicht gejammert, gehadert und geweint. Wir haben offen miteinander geredet, viel gelacht über unsere kleinen Missgeschicke die man eben in dem Alter hat. Wir haben zusammen erinnert, gespielt, wir sind etwas gereist und viel von dem getan, was man eben noch tun kann und was noch möglich ist. Und das ist mehr als man denkt! Z.B mit meiner Freundin auf den grossen Bauern- und Gemüsemarkt mit dem nahe gelegenem arabischen Markt zu fahren, (das klappt sehr gut hier, die Franzosen sind sehr hilfsbereit und rücksichtsvoll). Danach sind wir zu unseren neu gebauten, wunderschönen "Food-Tempel", neben dem Konservatorium geschlendert und fühlten uns richtig wohl in den künstlerisch ausgestatteten Räumen und den vielen Studenten. Mit all den vielen Angeboten von Thai-Speisen über Tapas zu orientalischen Food und französischer Küche, ist alles zu haben und zu geniessen. All das kann man draussen in der begrünten Fussgängerzone oder drinnen an der coolen Designer-Bar, in einem der Essecken oder in der Sofalounch geniessen. Wir haben es einfach zusammen ausgekostet. Mit dem Partner meiner Freundin haben wir das nahegelegene, neue Oldtimer-Museum besucht, einer seiner Träume. Obwohl das nicht mein's ist, ich liebte seine glänzenden Augen beim Betrachten der gepflegten, alten Boliden. Wir haben zusammen in meinem Garten seeeehr gut gegessen und die lauen Abende genossen. Eigentlich alles normal, alles bestens, nur einfach sehr sehr bewusst!
Tatsächlich, man wächst und entwickelt sich in die Zeiten hinein und wir müssen nicht vom „Weggehen von dieser Welt”, nicht vom Sterben, nicht von den Beschwerden und nicht von Nichterfülltem reden. Wir geniessen das Gehabte, das noch Mögliche und dem Moment. Und wir hatten viel davon!
Wir sind ganz unterschiedlich aufgewachsen. Meine Freundin aus sehr begütertem Hause in Berlin, ich in einer Baugenossenschaft in Zürich. Zusammen gekommen sind wir, durch den Wunsch meiner Freundin sich vom Berliner Zuhause abzunabeln und eine Weile in Zürich zu arbeiten, bevor der elterliche Betrieb sie zurück rief. Wir lrnten uns in Zürich kennen und ab da begann unsere gemeinsame Reise durch ein reiches Leben, mal mehr, mal weniger intensiv, aber im Herzen immer verbunden. Als ich das Haus hier renovierte, war mein erster Gedanke:" Kann meine Freundin hier leben, wenn ihrem Partner etwas geschieht und sie alleine nicht klar kommt". Ja, sie könnte es - alles ebenerdig und die Türen breit genug! Das reichte mir, um fortzufahren mit dem Renovieren. Wenn ich das jetzt erzähle, wird mir bewusst, dass wir schon immer annehmen konnten, wie der Moment gerade ist, was von uns verlangt wird und wie die Weltlage resp die Umstände sind. Natürlich kann sich meine Freundin ganz andere Dinge leisten als ich, Gott sei Dank. Doch das zählte nicht in unserer Freundschaft - hatte es nie getan! Es zählte, dass sie sich immer meinen Verhältnissen anpassen konnte und ich ihre Wünsche akzeptierte. Das ist so seit 60 Jahren und das ist vielleicht das Rezept guter Beziehungen? Und was ganz wichtig ist, wir tun immer das was möglich ist und das mit Genuss und Ausdauer mit Humor und Dankbarkeit.
Nein wir haben in diesen Tagen nicht über Beerdigungen geredet, nicht über das, was bald geschehen könnte. Wir haben auch nicht gross über die schon "Von uns Gegangenen" geredet. Wir haben sie einmal hochleben lassen, beim abendlichen Kerzenlicht. Dabei haben wir von jedem seine Charaktereigenschaften benennt und gelobt, die es schliesslich ausmachten, dass wir so lange Kontakt zueinander hatten und wir haben seine „Besten-Stücke” die er geleistet hatte, erzählt. Dabei konnten wir viel lachen und staunen und es dann dabei belassen.
Wir wissen, dass wir nicht zueinander zur Beerdigung fahren werden/können. Unsinn, haben wir uns gesagt, zu weit weg, nicht nötig in der heutigen Zeit, wir haben uns jetzt und das zählt!
Wir haben beschlossen:
WIR LEBEN JETZT UND JETZT FINDET GESCHICHTE STATT, NICHT AM UND IM GRAB!
Mit dieser Gesinnung war es uns auch in der Vergangenheit immer wieder möglich, unsere Treffen zu geniessen. Das tun wir schon sehr lange so und das befriedigt uns. Wir haben uns diesmal anders verabschiedet als sonst und uns gesagt, dass wir uns tief im Herzen tragen und wir das Leben annehmen, möglichst selbstbestimmt, bis zu unserem Ende.
Bitte liebe Leser, besucht euch jetzt nicht auf dem Friedhof, beschenkt euch jetzt, nicht nur, und erst durch euer Erbe. Gebt euch Zeit, nicht nur, aber auch, per SMS und im Internet. Ihr bleibt in guter Erinnerung, durch das zusammen Erlebte, Gelebte, bewusst Erfahrene und Genossene, auch durch das zusammen Überstandene und Durchgeglittene. Bitte lebt JETZT und nicht nächste Woche, nächstes Jahr, vielleicht irgend einmal. JETZT findet Leben statt, und Leben heisst, das was jetzt in meinen Möglichkeiten liegt zu tun.
Leben ist eine Reise, die wir gestalten dürfen, sollen und können. Der Tod ist wieder eine andere Sache und vielleicht ganz gut, dass wir ihn anderen Mächten überlassen können. Je mehr wir das akzeptieren, je besser können wir das „JETZT” leben und geniessen.
Und das erlaube ich mir noch zu sagen, im Wissen, dass ganz nah ein Krieg tobt , das Zerstörung auf der Welt herrscht, das Menschen Raubbau an der Erde betreiben, dass sie die Macht ein paar Alten, Abgelebten, Machtsüchtigen überlassen und sich zurückziehen. Dass wir glauben, wir können ja doch nichts tun ect.- Blödsinn! Wir müssen ja nicht die grosse Kelle schwingen, schon kleine Schritte und Massnahmen tun uns allen gut. Ihre Umgebung pflegen, die Nächsten beachten, das tun was möglich ist, damit es Ihnen dabei auch gut geht. Und dann, schauen sie wieder einmal in einen Kinderwagen! Da kommt eine neue Generation herangewachsen die sehr stark sein muss, um hier zu bestehen. Geben wir den kleinen Wesen alles was sie brauchen, um auf dieser Erde zu bestehen.
Ich arbeite z.Z. mit ukrainischen Therapeutinnen zusammen, mit Frauen die einfach das tun, was der menschengemachte Krieg von ihnen verlangt. Sie wollen Soldaten und Mütter unterstützen und ihnen bei der Trauma-Bewältigung helfen. Das muss sein, sagen sie mir, das ist jedem der Heilen kann/darf auferlegt. Das sind kleinste Dinge, die wir tun können, was die grösste Unterstützung ist im Moment, für einige Menschen, um weiterzuleben, den Mut zu halten und an Zukunft zu glauben. Meine „Ukrainischen Engel”, so nenne ich sie, bringen mir harte Aufgaben und unendlich viel Liebe, Dankbarkeit, Lösungswille und Sinnhaftigkeit in ihren verrücktesten Zeiten.
Ich habe übrigens keinen Moment gezweifelt, sie zu Unterstützen, als sie mich anfragten. Nicht jeder wird gefragt, dachte ich mir und das sagte mir, dass es richtig ist, es einfach zu tun. In der Zwischenzeit haben wir ein grosses Netzwerk, Weiterbildung und Unterlagen dazu kreiert. Ganz selbstverständlich und ohne grosse Bürokratie. Weil es eben nicht anders geht, arbeiten wir alle unentgeltlich. Was den sonst?
Leben ist so vielfältig, so reich, so kostbar und oft so ver-rückt. Lasst es uns wirklich leben und nicht verstreichen!
Ihre Norah
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